mit weitem abstand

Kinderlieb

Leo Storch ist gescheitert. Der Hamburger Investmentmanager, Golfspieler und Porschefahrer muss von Null auf neu beginnen – und das ausgerechnet im Dienst der türkischen Rotlichtgröße Özal Gül. Bald schon steckt er bis über den Hals in Schwierigkeiten: verhaftet wegen Geldwäsche in Moskau, wegen Menschenhandels in Turkmenistan. Deutsche TV-Stars lassen in russischen Kellern ihre Lust an Minderjährigen aus. Ob das absolute Böse existiert? Der Verleger eines deutschen Wochenmagazins will die Antwort wissen. Sein Chefreporter, der Enthüllungsjournalist Sven Behrens, wird ebenso in den Strudel hineingerissen wie Özal Güls Kiezrivale Christian Marke, die Domina Hannah Weggestalt und Leo Storchs Zwilling, der sanftmütige Pomologe Maik Müller. Und der russische Geheimdienst, eh klar. Am Ende hat der Hamburger Golf-Club sein Armageddon erlebt, und die Existenz des Bösen ist unzweifelhaft bezeugt. Nur die Hoffnung liefert ihm noch einen zähen, aussichtslosen Kampf.

339 S., Lichtschlag Verlag, Grevenbroich 2016

Einen Titel zum Thema Kinderpornographie zu machen, das gab er ihm auf, Kinderhandel, Kindersex. Einen Aufmacher über das Böse. Ohne Rücksicht auf Netzgemeinde oder Bürgerrechtler. Ohne abzuwägen. Ohne zu relativieren. Basierend auf der Annahme – ja, Behrens verstehe ihn ganz richtig –, basierend auf der Annahme, dass das absolut Böse in die Welt gekommen sei. Oder immer schon dagewesen sei. Behrens zuckte zusammen, ihm gefroren die Lippen. Sekunden zuvor war er frei und wild gewesen: ungekämmte Haare, jahrelang unrasierte Brauen, Sieben-Tage-Bart. Jetzt saß er wie ein begriffsstutziger Junge mit gefalteten Händen seinem Vorgesetzten gegenüber und blickte wie aus einer anderen Welt.
"Schauen Sie nicht so, Behrens, das macht sie zehn Jahre älter," fuhr Holdenstein ihn an, "vielleicht sind wir ja doch nur zynisch und abgestumpft. Reden über Ehrlichkeit und Authentizität. Und was ist mit der Wahrheit? Da halten wir es mit Pontius Pilatus – wir waschen uns die Hände. Was Wahrheit ist, überlassen wir dem Mob.“

Wachtel schlug die Wolldecke zur Seite.
„Sehen Sie genau hin.“
Bäuchlings auf der Rückbank lag eine nackte Kinderleiche. Die mit Blut beschmierten Beine waren Leo entgegengestreckt. Sie waren dünn und knöchern, der Rücken schmal und weiß. Die Haut leuchtete in der Dunkelheit.
„Ich glaube, es ist ein Junge“, sagte Wachtel, der jetzt hinter Leo stand. Das schmächtige Hinterteil lag eingesunken vor Leos Augen; die Haut, auch die des Rückens, war glatt und unverletzt.
„Ist das ihr Auto?", fragte Leo, nachdem er ein Würgen unterdrückt hatte.
„Es ist ein Mietwagen, aber ich habe die Schlüssel. Verstehen Sie endlich, warum ich Sie gerufen habe?“
Leo blickte auf das tote Kind. Er brachte es nicht über sich, es zu berühren und umzudrehen. Es roch nach Asche, nicht nach Verwesung. Der Junge war erst wenige Stunden tot.
„Wir gehen besser nach oben“, sagte er.

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